Jede Veränderung hat etwas Gutes: die Urlaubsplanung in diesem Jahr wurde „infiziert“ und musste mit besonderen, spontanen Maßnahmen wieder rehabilitiert werden. Fakt ist: ohne Corona hätte es diese Reise nie gegeben. Was mich jetzt keine Lobeshymne auf den Virus, dennoch aber auf die dadurch getroffene Entscheidung singen lässt ?
Der Wunsch einer gemeinsamen Fahrt wurde von Nicky und mir bereits nach meiner Paris-Tour 2019 geboren – auch wenn wir zu Beginn nur von einer Tagestour oder Tages-Begleitung sprachen. Aber Dank der neu gewonnenen Zeit, bereits gebuchten Urlaubs und zwei abgesagter Events konnte dann doch eine Mehrtagestour geplant werden. Das Ausland wollten wir erstmal meiden und die Idee, an der Elbe entlang bis „ganz nach oben“ zu fahren, fand ich klasse. Gesagt, geplant und dann war schon der 12. Juni.
Zuerst ging es für mich und mein Venge mit dem Zug von Stuttgart nach Leipzig, da wir Nicky’s Heimatstadt und meine Geburtstadt (Grimma) als Startpunkt ausgesucht hatten. Schon gleich nach Ankunft fuhr ich direkt zum Völkerschlachtdenkmal (Kindheitserinnerung!) und besuchte auf der Weiterfahrt meine Cousine Katrin mit Familie, die mich lecker begrillt hatten. Es war ganz eigenartig, auf einmal nur mit Rad unterwegs zu sein in Regionen, die ich zuletzt als 15-Jährige auf dem Rücksitz vom Trabant und Lada gesehen habe. Aber cool, geht alles – trotz Gegenwind ?

Am Tag drauf gab es eine kleine Family&Friends-Tour: Besuch bei Oma sowie anschließend bei Tante/Onkel/Cousin mit Leipziger Allerlei zum Mittag (was ich bis dahin nie wirklich gegessen hatte – sehr lecker und lieben Dank an meine lieben Köchers!). Von dort wurde ich dann von Silvio, einem früheren Klassenkameraden, mit dem Rennrad quasi direkt zum nächsten Treffen eskortiert. War eine schöne spontane Kurzausfahrt mit tollem Ziel: Die Schiffsmühle in Höfgen, wo auch Katja, eine „alte“ Freundin schon auf uns wartete. Die Zeit raste, aber es war schön euch alle wenigstens kurz mal wiedergesehen zu haben! Nicky und ich haben den Tag dann lecker und mit viel Vorfreude im Ratskeller Grimma ausklingen lassen. Ich erwähne nur am Rande, dass die Wettervorhersagen und die warnenden WhatsApp-Nachrichten von Freunden eher auf einen wirklich gewittrigen Start am Morgen hindeuteten. Aber das Tartar und der Himbeer-Gin haben unseren Optimismus gestärkt. Mit Erfolg ?

1# Es regnete nicht einmal … also jedenfalls als wir losgefahren sind. 6:45 Uhr Abfahrt und die erste Pause war in Bitterfeld geplant – bei Verwandten von Nicky. Bis dahin gab es leichte Regenschauer, aber was so frisch gestartete Radtouristen auszeichnet: am Anfang lässt man sich durch so etwas nicht demotivieren. Die Frühstückspause war nicht nur lecker, sondern auch lustig und sehr aufschlussreich: durch einen witzigen Zufall ist herausgekommen, dass die liebe Gastgeberin nicht nur den gleichen Nachnamen hat, sondern auch die Ursprungsfamilie aus dem gleichen Ort kommt wie meine. Wir hatten viele Kilometer Zeit, über diesen Zufall zu lachen, bei meinen Eltern um genaue Aufklärung zu bitten und unsere Tour nun als „Familienausflug“ weiter zu fahren ? Natürlich nur sehr, sehr weitläufig, aber immerhin. Es hat sich herausgestellt, dass die Großväter Großcousins waren. Muss man dazu erst an die Elbe fahren … ah, da waren wir ja noch gar nicht. Diese passierten wir dann – übrigens ohne weiteren Regen – in Dessau. Unser erstes Etappenziel war aber erst Magdeburg.
Dort waren wir spontan mit Freunden von Nicky zum Abendessen bei einem richtig guten Vietnamesen, dem Co Ba, verabredet. Part 2 der Einholung der Vergangenheit: der Freund von Nicky, das stellte sich bei der Begrüßung heraus, war Oliver. Gut, so heißen viele. Aber „viele“ kommen nicht unbedingt aus dem gleichen Ort, in dem ich aufgewachsen bin und „viele“ wohnten auch nicht in der gleichen Straße ein paar Häuser weiter unten. Das war echt eine Überraschung – wir hatten viel zu erzählen, wenn auch (oder gerade deswegen) mein Gedächtnis sehr viel löchriger war als das von Olli.

2# Magdeburg begrüßte uns am Morgen mit einer schlecht gelaunten Bäckerin, dafür aber mit einer umso strahlenderen Sonne, yesssssss! Und heute hat unsere Tour auch den Namen verdient: wir genossen bei super Licht die Elbe von links, die Elbe von rechts, die Elbe nah, die Elbe fern und zweimal sogar die Elbe unter uns. Bei einer kurzen Rast wurde uns ausgehungerten Radfahrern freundlicherweise sogar „Kompott“ angeboten, was dieserorts frisch geerntete Radieschen und Erdbeeren im Eimerchen bedeuteten. Eine wahrlich „süße“ Geste. Nach einer Pause im wirklich schönem Tangermünde, erreichten wir die ersten Hinweisschilder mit den Bezeichnungen „Hansestadt“, also die Richtung stimmt. An der Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen durften wir dann in Schnackenburg wieder „in die Schule gehen“: unser Etappenziel und Hotel, eine ausgebaute alte Schule mit einer wunderschönen Terrasse und großem Garten – und wooooooh, ich sah volle Weizenbier-Gläser auf den Tischen der anderen Gäste. Einchecken kann warten, der Durst nicht. Selbstbedienung im Kühlschrank mit Strichliste, coole Sache, hinsetzen, ankommen. Mussten wir uns nur noch ums Abendessen kümmern, in der zweitkleinsten Stadt Deutschlands (wirklich!), in der es sonst nix gab. Zack, da landete die nächste Liste vom Hausherrn auf dem Tisch: es wurde gegrillt für alle heute Abend und wir mussten nur noch Kreuzchen machen. Mega, super Service, tolle Atmosphäre und schlafen wie die Lehrer früher ganz oben in den kleinen Zimmerchen. Zu korrigieren gab es – wie eigentlich jeden Abend – zum Glück nur die Tour für den nächsten Tag, wobei der Abgleich der analogen Karte und komoot zusammen eine 1+ erhielten.

3# Nach Magdeburg und Schnackenburg war das Ziel unserer heutigen Etappe … naaaaa … natürlich Hamburg! Fast wäre das auf der Kippe gestanden, da man bei Dömitz einfach so eine alte Eisenbahnbrücke als wunderbares Fotomotiv in die Landschaft gestellt hatte. Mein Fotografenherz ging auf – das war sooooo schön ? Als ich beim fotografieren dann unsere bepackten Räder durch die Linse sah, wurde mir aber schnell wieder klar, das ich mich wohl von diesem schönen Motiv verabschieden musste. Weiter ging es hauptsächlich entlang der Elbe, über Deiche und wunderbare Wege – es war für mich der schönste Teil der Strecke auf dem Weg in den Norden. Die vielen, vielen kleinen kopfsteingepflasterten Orte, die man locker in Paris-Roubaix-Etappen hätte aufnehmen können, wurden weniger. Und es gab sogar eine zweistellige Steigung und endlich auch mal eine richtige Abfahrt mit 13 %. So erreichten wir mit großem Hunger Hamburg-Allermöhe, den wir nach einem Recovery-Spaziergang beim Italiener stillen konnten.

4# Hamburg, meine Perle! Kurz nach Abfahrt suchten wir in Hamburg aber keine Perle, sondern erstmal ein richtig leckeres Fischbrötchen zum Frühstück. Was muss, das muss, schließlich sind wir ja in Hamburg. Was wir nicht wussten: die Fischhalle hatte corona-bedingt geschlossen, aber wir wurden trotzdem fündig. Ansonsten ist Hamburg natürlich immer eine Reise wert, wirklich schön, aber wir hatten leider keine Zeit für Sightseeing, sondern durchkreuzten die Stadt über erlaubte sowie verbotene Wege, und natürlich auch wieder über die Elbe, um endlich richtige Nordseeluft schnuppern zu können. Wo genau der Punkt kam, in dem sich die Elbe bereits mit der Nordsee vereint, konnte ich gar nicht genau definieren – sie wurde einfach immer breiter und dann sah man auf einmal kein Land mehr am Horizont. Wir näherten uns dem Ziel unserer Tour, aber erst schnell am Hotel vorbei, Gepäck abladen und die letzten Kilometer entspannt zur Kugelbake radeln, dem nördlichsten Punkt von Niedersachsen und das ist dann ganz offiziell der geografisch festgelegte Punkt, an dem die Elbe endet und die Nordsee beginnt. Wir hatten unser Ziel erreicht, waren stolz und genossen das tolle Licht, unsere Leistung und die Abkühlung, denn zum ersten mal war der Wind doch etwas frischer.

Vier Tage, 26 Stunden reine Fahrzeit, 650 Kilometer – und bis auf den ersten Tag bei allerbestem Sommerwetter. Was hatten wir für ein Glück. Regen und Wolken hatten sich während unserer Reise im gesamten restlichen Deutschland vergnügt. Auch von Pannen oder gesundheitlichen Ausfällen wurden wir verschont – bis auf die wenigen Male, wo gefühlt der Hungertod nahte ?
Eine Tour an der Elbe ist definitiv eine Rad-Reise wert. Wir waren froh über komoot und das Garmin, da wir teilweise die Wegkennzeichnungen nicht wirklich wahrgenommen haben oder aber doch etwas weiter umfahren mussten, da diese nicht rennradtauglich waren. Die Landschaft und das tolle Licht haben mich überzeugt, dass auch relativ ebene Strecken durchaus ihren Reiz haben können. Es war nicht langweilig. Schon gar nicht, da wir zu Zweit waren und wunderbar harmoniert haben – sowohl beim Fahren, als auch beim Lachen und gemeinsam „das ist sooo schön“ fühlen und sagen. Danke Nicky, du warst ein super Reisebegleiter und hast auch geduldig meine Fotostopps ertragen ?
Die Heimreise traten wir dann mit etwas Abschiedsschmerz getrennt an, da Nicky zurück nach Leipzig und ich nach Stuttgart musste. Aber so schnell wollte ich meine Reise noch nicht beenden. Schließlich wollte ich meiner Mama auch noch persönlich zum Geburtstag gratulieren, also wählte ich die Rückfahrt mit dem Zug von Cuxhaven über Hamburg nach Heidelberg (warum heisst das eigentlich nicht Heidelburg, obwohl es da so eine tolle Burg gibt?!). Von Heidelberg radelte ich dann eine ganz ungewohnte Mini-Distanz in den Odenwald, um dort noch einen weiteren wunderschönen Regenerationstag (Spaziergänge inklusive) bei meinen Eltern zu verbringen.

Wirklich nach Hause ging es dann am nächsten Tag, aber erst nachdem ich das kleine, einwöchige Highland-Rind-Baby des hiesigen Hochlandrindzüchters Leon Scholl vor der Linse hatte. Diese grasen immer im Tal direkt gegenüber meiner Eltern – einfach wunderschöne Tiere. Mit den Erinnerungen an die Elbetour, die schöne Zeit bei meinen lieben Eltern und der Tierbaby-Emotion startete ich die Heimreise mit gezündetem Turbo – heisst: ohne die 7 Kilo Gepäck, die sollte nun die DHL nach Stuttgart „schleppen“.

Für mich war diese Tour eine komplett neue Erfahrung im Vergleich zu den letzten beiden Tripps allein nach Bremen und Paris. Ja, es ist einfach anders, sich alleine den Herausforderungen zu stellen und Entscheidungen zu treffen. Die Zeit auf dem Rad und danach für sich zu sein, runterzukommen und alles ohne Ablenkung in sich aufzunehmen und ganz intensiv wirken zu lassen, mit sich selbst zu kämpfen. Diese Gefühle gab es diesmal nicht ganz so intensiv. Dafür aber ein ganz anderes, was man kurz und knapp mit „Geteilte Freude, ist doppelte Freude“ beschreiben kann. Das ist auch sehr viel wert und hat wirklich Spaß gemacht. Wie immer ist hier wahrscheinlich die Mischung das beste Rezept. Von daher werde ich gerne beides wiederholen ?
Eine Anekdote gibt es noch, die ich als bekennende Nicht-gern-Bahnfahrerin erwähnen muss. An dieser Bezeichnung erkennt ihr sicher, dass ich oft etwas angespannt bin, was Pünktlichkeit und das Umsteigen bei der Deutschen Bahn angeht, einfach nicht routiniert. Somit war ich auch etwas in Panik, als ich von Cuxhaven kommend in Hamburg-Harburg umsteigen musste. Es stand schon ein Zug auf dem Gleis, der nach Karlsruhe fuhr. Prima, das klappt ja wie am Schnürchen, dachte ich mir und als mich die Bahnmitarbeiterin auf dem Bahnsteig dann darauf hinwies, dass ich mich beeilen muss und wo der Fahrrad-Wagon stand, funktionierte ich einfach nur auf Ansage. Also rein in den Wagon, Fahrradabstellmöglichkeit gefunden….aber meine Stellplatznummer 141 gab es nicht. Gut war, dass der Schaffner gleich zur Tür rein kam und ich ihn direkt fragen konnte – schlecht war, dass die Tür gleich hinter ihm zuging und der Zug losfuhr. Auf meine Frage, ob ich das Rad trotzdem hier abstellen könnte, meinte er, dass es die einzigen Plätze im Zug sind. Hmmmm, ich sollte nochmal auf mein Ticket schauen, er kommt gleich nochmal. In der Zeit raffte ich, dass ich in einem ICE stand, gebucht war ein IC. Oooops, der Schaffner bestätigte es mir. Gut war, dass der ICE auch nach Karlsruhe über Heidelberg fuhr – schlecht war, dass die Strecke unterschiedlich ist, ich also nicht am nächsten Halt aussteigen konnte. Nach einigen liebe-Worte-schwingenden Minuten, stellte er mir ohne Zusatzkosten ein Ersatzticket aus – wow! Eigentlich hätte ich das komplett neu buchen/bezahlen müssen, da ich Sparfuchs damals natürlich auch nur ein Sparpreis-Ticket MIT Zugbindung gekauft habe. Als ich es mir dann allein an meinem Vierertisch inkl. WLAN gemütlich gemacht habe, fand ich überhaupt nichts schlechtes mehr an der Deutschen Bahn. In dem Moment war dieser Bahnangestellte der Held für mich – und ich war noch 1 1/2 Stunden früher in Heidelberg. Tschaka! „Diese Zeit gehört dir“, danke Deutsche Bahn!

Die Bilder zur Tour findet ihr in der Galerie.